Geschichte des NES


von Seppatoni
18.05.2004

Das Famicom in Japan


Wie alles begann...

Nintendo wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Fusajiro Yamauchi gegründet. Damals wurden natürlich noch keine Videospiele hergestellt, sondern Hanafuda-Spielkarten (jap. = Blumenkarten) produziert. Später stellte man auch westliche Spielkarten für Poker und Skat her. Der kleine Kyoter Familienbetrieb wuchs mit der Zeit zum größten japanischen Spielkartenhersteller. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm der 3. Firmenchef Hiroshi Yamauchi 1950 im Alter von nur 21 Jahren das altehrwürdige Unternehmen. Nach über 4 Jahrzehnten stand er immer noch an der Spitze des Mega-Konzerns. Im Laufe der Jahre nahm das Interesse an den Spielkarten mehr und mehr ab und Yamauchi musste neue Wege erschließen, um seinen Betrieb zu vergrößern. Nach einigen kurzen Ausflügen in die Hotel- und Taxi-Branche in den 50er und 60er Jahren, konzentrierte sich Yamauchi fortan auf Spielzeuge. Durch die Spielkarten war schon ein Vertriebsnetz vorhanden, welches fast jeden Spielzeugladen Japans umspannte. Diesen Vorteil wollte sich Yamauchi zunutze machen und befahl dem jungen Ingenieur Gumpei Yokoi, "etwas Tolles" zu erfinden. Diese tolle Erfindung war die Ultrahand, ein kleiner Plastikgreifarm, der sich beim Öffnen und Schließen der Zange verlängerte und für ein paar Mark zu erstehen war. 1970 war die Ultrahand ein wahrer Verkaufsschlager, der Yokoi in die Gunst seines Chefs hievte. Daraufhin sollte Yokoi mit seinen Kollegen Masayuki Uemura und Genyo Takeda einen neuen Grundstein des Erfolges legen. Gemeinsam schuf das kreative Trio erfolgreiche Light-Gun-Automaten und die berühmte Game&Watch-Serie. Nach einer langen und streng geheimen Entwicklungsphase präsentierte Hiroshi Yamauchi 1983 einigen Handelsvertretern stolz die Früchte monatelanger Überstunden: Den Family Computer, kurz Famicom, in der westlichen Welt besser bekannt unter dem Kürzel NES.


Famicom verkauft sich blendend, aber...

Der Family Computer unterschied sich grundsätzlich von seinen damaligen Konkurrenten. Zunächst erinnerte das Gerät in seiner rot-weißen Plastikverkleidung eher an ein Spielzeug als an einen Computer und was noch viel wichtiger war: Das Famicom war um mehr als die Hälfte billiger als die Heimcomputer. Mit diesen Vorzügen und einem gigantischen Marketing-Apparat waren die ersten 500.000 Geräte binnen zwei Monaten ausverkauft. Auch danach gingen die Famicom-Einheiten weg wie warme Semmel. Nintendo kam teilweise kaum mit der Produktion nach. Doch dann passierte etwas Unvorhersehbares. Ein halbes Jahr später, es war gerade die Zeit des japanischen Neujahrsfestes, ereignete sich eine Katastrophe. Immer mehr Kunden klagten über defekte Konsolen und Yamauchi wies Yokoi und Uemura an, mit der Fehlersuche zu beginnen. Das Ergebnis dieser Suche war erschreckend. Wenn bestimmte Daten durch einen bestimmten Kanal geschickt wurden, gab es einen Stau, den das Gerät nicht schnell genug beheben konnte und deshalb das laufende Programm stoppte. Mit Schweiß auf der Stirn und rasendem Herzen berichteten sie dem für seine plötzlichen Wutanfälle berüchtigten Yamauchi von diesem Problem. Zähneknirschend ordnete er eine großangelegte Rückholaktion an, in der alle fehlerhaften Systeme vom Handel zurück ins Lager gesandt und dort repariert wurden. Diese Aktion verschlang mehrere Millionen Dollar, konnte aber den unvergleichlichen Siegeszug des Famicoms nicht aufhalten.


Das Famicom Disk System

Die Japaner sind im allgemeinen für ihre Weitsichtigkeit bekannt. So ist es nicht verwunderlich, dass das Famicom mit den verschiedensten Anschlüssen ausgestattet wurde, für die es zum damaligen Zeitpunkt noch gar keine Geräte gab, die man daran hätte anschließen können. 1986, drei Jahre nach der sensationellen Einführung der Konsole, holte Big N (übrigens nach zwei Terminverschiebungen) ein weiteres As aus dem Ärmel. Der ominöse Slot am Famicom fand endlich Verwendung, indem er als Schnittstelle zum Disk System fungierte. Als Vorteil wurde den Kunden bessere Spiele aufgrund höherer Speicherkapazität prognostiziert. Außerdem sollten die Disketten preiswerter sein, da sie auch in der Herstellung gegenüber Modulen billiger waren. Ein weiteres Kaufargument war die Tatsache, dass diese Disketten wiederbeschreibbar waren. In Japans einschlägigen Fachgeschäften und Kaufhäusern wurden sogenannte Disk-Writer aufgestellt. Die Kunden konnten gegen eine relativ geringe Tauschgebühr das Gerät benutzen, um auf der kreditkartengroße Diskette ein Spiel, mit dem sie unzufrieden waren, gegen ein anderes zu ersetzen. Anfangs war diese Aktion sehr erfolgreich, das änderte sich jedoch bald, da nur wenige Lizenzhersteller von diesem Medium überzeugt waren und deshalb keine Spiele dafür produzierten. Nintendo selbst unterstützte die Hardware mit Spielen wie Super Mario Bros. 2, welches wir unter dem Namen Lost Levels kennen. Es gab sogar eine Konsole names Twin-Famicom, die sowohl einen Modulschacht, als auch ein Diskettenlaufwerk enthielt.


Famicom mit Modem

Als das Famicom 1988 bereits in jedem dritten japanischen Haushalt zu finden war, hatte Yamauchi wieder neue Visionen, wie er sein Unternehmen und damit auch sich selbst noch mächtiger machen könnte. In der Videospielbranche war er bereits der erfolgreichste Mann, doch durch die weite Verbreitung des Famicoms wollte er ein großes Kommunikationsnetz schaffen, dass alle Famicom-Haushalte des Landes miteinander verbindet. In diesem Netz sollte den Anwendern Gelegenheit gegeben werden, Schachpartien über weite Entfernungen von zu Hause aus spielen zu können oder gar Aktien und Wertpapiere zu erstehen. Auf diese Weise entstand auch der erste Super Mario Club, der die User mit Tipps, Tricks und Wissenswertem über ihre Lieblingsspiele auf dem Laufenden hielt. Durch die weite Verbreitung des 8-Bitters war Yamauchi der gesamten Kommunikationsbranche einen gewaltigen Schritt voraus und da das Famicom nun auch für ältere Leute interessant wurde, versprach er sich von diesem Bemühungen einen ordentlichen Gewinn. Die Technik war anno 1989 jedoch noch nicht weit genug fortgeschritten, als dass die Telefonleitungen die Unmengen an Transaktionen fehlerfrei bewältigen konnten. Außerdem standen viele Erwachsene dem "Spielzeug" Famicom sehr skeptisch gegenüber, wenn es darum ging, Bankgeschäfte zu tätigen. Letztlich interessierten sich nur knapp 130.000 Haushalte für ein Famicom-Modem.


Der Erfolg ging weiter

Obwohl die Disk-Writer Kampagne und das Telekommunikationsnetz hinter den Erwartungen zurückblieben, hinderte dies Nintendo nicht daran, weiter zu wachsen. Die qualitativ hochwertige Software konnte die Videospieler von der Hardware überzeugen und bald war ein japanischer Haushalt ohne Famicom kaum noch vertreten.


Das NES außerhalb Japans


Nintendo will die USA erobern, aber leichter gesagt als getan


Minoru Arakawa, der Schwiegersohn von Hiroshi Yamauchi, wurde 1980, zusammen mit seiner Frau Yoko, damit beauftragt, den Namen Nintendo in den amerikanischen Spielhallen bekannt zu machen. Anfangs hatte das junge Paar mit großen Problemen zu kämpfen und besonders auf "Mino" Arakawa lastete der schwere Druck seines skeptischen Schwiegervaters. Von einigen Rückschlägen gebeutelt, erholte sich Nintendo of America (NoA) schließlich dank eines Spiels namens Donkey Kong eines gewissen Herrn Shigeru Miyamoto von der Krise und stand fortan in der Gunst der Videospieler hoch oben. Um das Famicom weltweit zu vermarkten, wollte man sich des bereits bestehenden Vertriebsnetzes von Atari bedienen. Atari hatte zuvor die Rechte an Donkey Kong für ihren Atari 800 gekauft und Hiroshi Yamauchi war mit der Entwicklung der Dinge überaus zufrieden. Aufgrund eines dummen Zufalls auf der Consumer Electronics Show 1983 platzte dieser Deal jedoch, was im übrigen nicht weiter schlimm für Nintendo war, da Atari zu dem Zeitpunkt bereits arge Schwierigkeiten hatte. Das gleiche Schicksal ereilte damals die gesamte Heimvideospiel-Industrie in Amerika. Der Markt wurde mit derart schlechten Spielen überschwemmt, dass bald keiner mehr Spaß an seinem Hobby hatte. Neue Systeme wie Colecos Adam floppten damals total und auch die Mattel- und Atari-Konsolen stießen immer mehr auf Desinteresse. Der US-Markt war tot.


Nintendo gibt nicht auf

Es gab nur einen Mann, der noch an die Videospiele glaubte - Minouru Arakawa. Wenngleich sich der Handel schon einmal an den Spielkonsolen die Finger verbrannt hatte, gab es da draußen immer noch Leute, die sich nicht um Absatzzahlen und Gewinn- und Verlustrechnungen scherten - die Videospieler. Arakawa war fest davon überzeugt, dass er, wenn er es richtig anstellen würde, die Videospiele mit Hilfe des Famicoms wieder salonfähig machen könnte. Anstatt Unmengen mäßiger Software zu veröffentlichen, wollte anfangs keiner etwas damit zu tun haben. Vom eigenen Ehrgeiz getrieben, studierte Arakawa mit seinen engsten Mitarbeitern Howard Lincoln, der sich vom Firmenanwalt bis zum Vorstandsvorsitzenden hocharbeiten sollte, und Ron Judy (er übernahm den Vertrieb der N-Produkte) die Überreste des Marktes. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich ihr Gerät klar von den anderen Videospielkonsolen zu unterscheiden habe. In Japan arbeitete man an einem seriösen neuen Design, um das Gerät nicht für ein Spielzeug zu halten und entwickelte darüber hinaus noch viele Zusatzartikel, wie eine Klaviatur inklusive eines dazugehörigen Musikprogramms. Das Famicom sollte auf AVS umgetauft werden, Advanced Video System. Doch auf einer Verbrauchermesse im Jahr 1984 stieß Arakawa erneut auf Unverständnis. Keiner der Händler war bereit, ein solches Risiko einzugehen, zumal auch die Käufer wenig Interesse an diesen Apparaturen signalisierten.


Arakawa's Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Niedergeschlagen dachte sich Arakawa eine neue Strategie aus. Er verzichtete auf alle Extras bis nur noch das reine Famicom übrig blieb. Die Spieler wollten ihren Spaß haben und sich nicht mit langwierigem Computerkram aufhalten. Arakawa taufte seine Unterhaltungsmaschine Nintendo Entertaiment System (NES). Nach erfolgreichen Testläufen in New York und Los Angeles konnte sich auch der Handel nicht länger gegen den hartnäckigen Unternehmer und sein Verhandlungsgeschick wehren und bestellte zunächst geringe Stückzahlen des NES. Mit der Zeit bewies Arakawa allerdings allen Zweiflern, dass der Nintendo-Erfolg keine Eintagsfliege war und die Verkaufszahlen schnellten immer weiter in die Höhe. Das Geheimnis des bahnbrechenden Erfolgs lag jedoch nicht allein an den Bemühungen von NoA, denn die Nintendo-Software stammte immer noch aus Japan und Miyamotos Spiele waren auch maßgeblich am Erfolg des 8-Bitters beteiligt. Auch Gumpei Yokois Spiele Metroid und Kid Icarus waren echte Verkaufsschlager. 1988 wurden schließlich 7 Millionen NES-Geräte sowie 33 Millionen Spiele in den Staaten verkauft. The Legend of Zelda und Mike Tyson's Punch-Out!! gingen jeweils 2 Millionen mal über die Ladentheke. Mit dem Erfolg wuchs natürlich auch die Firma, und Arakawa rekrutierte begabte und interessante Spieler buchstäblich von der Strasse. Hiroshi Yamauchi sandte seinem Schwiegersohn noch einige qualifizierte Leute aus den eigenen Reihen. Darunter war auch der Buchhalter Shigeru Ota.


Das NES in Europa

Nachdem Japan und Amerika erobert waren, war es nun an der Zeit, auch die Europäer vom NES zu überzeugen. In Europa musste praktisch bei Null angefangen werden, deshalb war es auch unabdinglich, jemandem die Führung zu überlassen, der gut mit Zahlen umzugehen wusste. Ota erschien Arakawa aufgrund seiner Vorbildung am geeignetsten und so schickte er seinen Buchhalter über den großen Teich. Passende Büroräume mussten gefunden werden und ein fähiger Mitarbeiterstab sollte vor Ort alles für die Markteinführung vorbereiten. Das bayerische Städtchen Großostheim wurde als Standort für Nintendo of Europe auserkoren, weil der riesengroße Frankfurt/Main-Flughafen nicht weit entfernt liegt und viel Platz zum Expandieren bietet. Neben einigen Managern aus Japan holte sich Ota Hans Stahler in sein Führungsteam. Stahler gilt als Urgestein der deutschen Spielwarenindustrie und konnte mit der Einführung der Barbie-Puppe und des Rubik Zauberwürfels bereits legendäre Erfolge vorweisen. Den Vertrieb des NES übernahm die Firma Bienengräber, die ebenfalls schon einen bekannten Namen in der Branche inne hatten. Bienengräber hatte durch die Vermarktung der Game&Watch-Spiele ein dichtes Vertriebsnetz aufgebaut, welches ermöglichte, das NES sehr bald an sämtliche große Kaufhäuser zu verkaufen. Es wurden Geräte samt Fernsehern angeschlossen, an denen die Kids Ice Climber spielen konnten, um sich ein Bild von dem grauen Kasten zu machen. Nach amerikanischem Vorbild wurde eine Hotline eingerichtet, unter der Nintendo-Fans Tipps zu Spielen erfragen konnten oder technische Hilfe in Anspruch nahmen und ein Club-Magazin wurde gegründet. Nintendo beschäftigt einen großen Mitarbeiterstamm, der sich auschließlich um die Konsumenten kümmert und auf so ziemlich jede Frage eine Antwort parat hat. Nintendo hatte also überall einen Trend gesetzt und ein Ende der Erfolgswelle der Firma ist auch bis heute noch nicht abzusehen. Immerhin wurden schon über 60 Millionen NES-Geräte weltweit verkauft.


Vielen Dank an die ehemalige TOTAL!-Redaktion für die Bereitstellung dieses Specials!