EarthBound Zero: Mother, go west!
von Phil
06.11.2011
Zugegeben, die Mother-Reihe fristet in westlichen Gefilden wenn überhaupt ein Nischendasein. Während in den Staaten zumindest Mother 2 für das SNES unter dem Namen EarthBound erschien, jedoch aus finanzieller Sicht floppte und erst Jahre später im Netz einen regelrechten Fankult nach sich zog, ist Europa offiziell noch überhaupt nicht in Berührung mit der Serie gekommen, da selbst die Veröffentlichung des SNES-Ablegers nach dem Scheitern in den USA für NoE offensichtlich nicht in Frage kam. Vielen eingefleischten Nintendojüngern dürfte EarthBound aber angesichts des allgemeinen Fankults trotzdem ein Begriff sein. Spätestens seitdem sich EarthBound Protagonist Ness in der Super Smash Bros. Serie (erstmals erschienen 1999 auf dem N64) regelmäßig mit Mario, Link und Co. prügelt. Im Wii-Ableger des erfolgreichen Fun-Beat’em Ups bekam Ness dann sogar auch Unterstützung durch Lucas, dem Protagonisten aus Mother 3 (ausschließlich in Japan erschienen im Jahr 2006 für den Game Boy Advance).
Sehr viel unbekannter dürfte da der Held des Famicom-Erstlings Mother sein: Ein kleiner Junge namens Ninten, der seinem großen Bruder Ness designtechnisch durchaus Pate gestanden hat. Sowieso basiert der SNES-Nachfolger von Mother in vielerlei Hinsicht stark auf seinem Vorgänger, wie es auch bei anderen Nintendo-Titeln der Fall war, die in die 16-Bit-Ära verfrachtet wurden. Hierum soll es im vorliegenden Artikel allerdings weniger gehen, als um die Geschichte über das Schicksal, das Mother (auch bekannt als "EarthBound Zero") bezüglich seines geplanten Releases im Westen ereilte.
Orignaltitel | a.k.a. | Plattform | Erscheinungsjahr | Region | Protagonist |
---|---|---|---|---|---|
Mother | EarthBound Zero | Famicom | 1989 | Japan | Ninten |
Mother 2 | EarthBound | Super Famicom / SNES | 1994 | Japan, USA | Ness |
Mother 3 | EarthBound 2 | Game Boy Advance | 2006 | Japan | Lucas |
Der geplante US-Release von Mother
In Mother macht sich der kleine Junge Ninten auf, die Welt vor der Invasion einer unheimlichen Alienrasse zu bewahren. Das durch verrückte Ideen glänzende Spiel schickt Ninten auf eine Reise durch eine skurrile Karikatur des Amerikas der 80er Jahre aus der Sicht eines äußerst fantasiereichen Japaners - Begegnungen der seltsamen Art macht Ninten auf seinem Abenteuer nicht nur in Form von Aliens! In Japan mauserte sich Mother aufgrund seines für Rollenspiele sehr ungewohnten und daher erfrischend andersartigen Settings zum Überraschungshit, der noch Jahre später 2006 von Famitsulesern auf Platz 9 der besten Spiele der Konsole und auf Platz 38 der besten Videospiele plattformübergreifend gewählt wurde.
Kein Wunder also, dass Nintendo of America seinerzeit einen US-Release plante und sich rasch an die Übersetzung des Titels machte. Das Spiel sollte für den westlichen Markt auf den Namen EarthBound umgetauft werden und ein Jahr nach Japan-Release galt die Lokalisierung von Mother als abgeschlossen. Unglücklicherweise entschied man sich im letzten Moment dann aber doch noch dazu, den US-Release von EarthBound zu canceln: Im Jahre 1991 wurde das Projekt als unprofitabel empfunden, obwohl sowohl die Übersetzung des Spiels inklusive Gestaltung des Boxarts und eines extralangen Anleitungs- und Lösungshefts abgeschlossen als auch die Marketingkampagne für den Titel bereits in den Startlöchern stand. So war beispielsweise selbst eine Veröffentlichung des Mother-bzw. EarthBound-Soundtracks bereits in Planung.
Der ehemalige NoA-Mitarbeiter Phil Sandhop bestätigte, dass EarthBound in Nordamerika nicht mehr für das NES erscheinen sollte, weil befürchtet wurde, dass ein Release von dem damals gerade neu erhältlichen SNES und dessen Software überschattet worden wäre. Hinzu kam, dass das Rollenspielgenre seinerzeit in westlichen Gefilden noch nicht unbedingt zu den populärsten zählte, so dass man am möglichen Erfolg des Spiels zweifelte. Auch wären die Kosten einer Produktion des Titels unerwartet hoch gewesen, da nicht nur das besagte Anleitungs- und Lösungsheft inklusive beigelegter Karte á là Zelda eine besonders große Verpackung erfordert hätte, sondern auch, weil die westliche Version von EarthBound aufgrund einiger Modifikationen ein für damalige Zeiten relativ großes Speichermodul erfordert hätte.
Zahlreiche Änderungen für den Westen
All dieser Reservierungen zum Trotz waren während der Lokalisierung bereits zahlreiche Änderungen am Spiel vorgenommen worden. Neben dem Entfernen von Blut, Verweise auf Tabakkonsum und religiöse Elemente, die NoAs unsäglicher, auf Familienfreundlichkeit getrimmte Zensierungspolitik der 80er Jahre zu schulden sind, hatte man nachträglich auch handfeste Verbesserungen am Spiel vorgenommen. So wurde beispielsweise ein erweitertes Ende gegenüber der japanischen Version in das Spiel integriert und bestimmte Areale auf der Karte wurden erweitert oder neugestaltet. Außerdem konnte Ninten in der von NoA lokalisierten Version per Knopfdruck schneller laufen, anstatt nur gemächlich zu gehen – eine Fähigkeit, die selbst Ness im späteren SNES-Teil noch schmerzlich vermissen ließ. All diese Änderungen waren möglich, da zu dieser Zeit die von NCL entwickelten Spiele stets nach Japan-Release noch weiter entwickelt und um Elemente ergänzt wurden, für deren Implementierung bis zur Erstveröffentlichung keine Zeit mehr war oder die durch Kritik des amerikanischen Lokalisierungsteams oder der japanischen Spielerschaft überhaupt erst angeregt wurden.
Doch waren all diese Mühen um Verbesserungen (und teilweise auch Verschlimmbesserungen) umsonst, da der ursprünglich für Herbst 1991 terminierte Titel zunächst aufgrund fehlenden Interesses der NoA-Marketingabteilung verschoben und schließlich für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurde. Das Aufkommen des SNES begrub somit zunächst alle Hoffnungen auf ein US-Release von EarthBound für das NES. Und das, obwohl das Spiel quasi nur noch darauf wartete, in Produktion zu gehen – übrigens ein Luxus bezüglich der Veröffentlichungspolitik, den sich Nintendo seinerzeit laut Aussagen Sandhops des Öfteren leistete. Solange sich alte Spiele weiterhin vermarkten und verkaufen ließen, sah Nintendo demnach oftmals keinerlei Grund dazu, in der Pipeline wartende und bereits voll lokalisierte Titel auf den Markt zu schmeißen. Ein nordamerikanischer Release EarthBounds wurde 1994 wohl noch einmal in Betracht gezogen, um die dortige Spielerschaft auf den anstehenden SNES-Teil vorzubereiten. Letzten Endes wurden aber auch diese Pläne verworfen; man entschied sich stattdessen für eine direkte Veröffentlichung von Mother 2, um die zur Verfügung stehenden Ressourcen lieber voll und ganz auf ebendiesen Titel zu konzentrieren. Mother 2 kam schließlich unter dem Namen EarthBound im Sommer 1995 in Nordamerika auf den Markt.
Ein Prototyp des lokalisierten NES-Moduls?
Es schien also, als würde NES-Anhängern die von NoA lokalisierte Version von Mother auf ewig verwehrt bleiben. Im Januar 1998 aber, als Nintendos Hauptaugenmerk schon längst dem N64 galt, tauchte völlig unerwartet ein Prototyp des lokalisierten NES-Spiels zum Verkauf in einer Newsgroup im Internet auf, die für gerade zu lächerliche 125$ den Besitzer wechselte. Diese gelang über Umwege in die Hände der Fanübersetzungsgruppe Demiforce, die genug Geld zusammensammelte, um die Cartridge von dem ursprünglichen Käufer auszuleihen. Der US-Prototyp wurde von Demiforce als ROM extrahiert und dahingehend modifiziert, dass sie über Emulatoren abspielbar wurde. Seither geistert diese ROM unter dem Namen EarthBound Zero im Internet herum. Diese Namensgebung erfolgte durch Demiforce selbst, um Verwechslungen mit dem damals bereits erhältlichen EarthBound für das SNES auszuschließen. Da Demiforce bereits zuvor zahlreiche ROMs in Eigenregie übersetzt hatte, entbrannte unter Fans der Mother-Serie allerdings eine Debatte darüber, ob die in EarthBound Zero enthaltenen Bildschirmtexte nun wirklich, wie behauptet, von Nintendo oder aber von Demiforce selbst stammten. Des Weiteren hielt sich das Gerücht, es handle sich bei dem mysteriösen Testmodul um einen bloßen Fake, mit dem Demiforce versucht hätte, Geld von verzweifelten EarthBound Fans einzutreiben.
Phil Sandhop, der als Producer der schließlich gecancelten Lokalisierung verantwortlich war, bestätigte jedoch, dass es sich bei der englischen Übersetzung in EarthBound Zero um die Originalübersetzung von Nintendo handlet. Einen weiteren Beweis für die Authentizität des Moduls lieferte der Re-Release des Titels 2003 in Japan in Form der Spielesammlung "Mother 1+2" für den Game Boy Advance. All die Neuerungen und Änderungen, die bereits in der Betaversion von EarthBound für das NES enthalten waren, fanden sich auch im neu aufgelegten Mother wieder. Selbstverständlich blieb der Bildschirmtext hingegen auf Japanisch.
Das Warten geht weiter!
Trotz aller Hindernisse, die einer englischen Version von Mother im Wege standen, erblickte die lokalisierte Version also schließlich doch noch das Licht der Welt – wenn auch nicht auf offiziellem Wege. Dennoch lässt eine Veröffentlichung über die Virtual Console auf einer von Nintendos neueren Konsolen, egal ob stationär oder portabel, weiterhin auf sich warten, auch wenn diese durchaus zu begrüßen wäre. Und wenn man sich die bisherige Geschichte eines möglichen westlichen Releases von Mother bzw. EarthBound Zero so ansieht, scheint auch diese Wendung nicht völlig ausgeschlossen zu sein. Viel Aufwand hätte Nintendo mit einem solchen Port jedenfalls nicht.