Vice: Project Doom


Adrian Lemme
18.06.2025


Gastbeitrag von retrolegends.de

Wenn man an NES-Action denkt, kommen einem sofort Namen wie Ninja Gaiden, Batman oder Shatterhand in den Sinn. Doch Vice: Project Doom, 1991 in Nordamerika von Sammy veröffentlicht und vom japanischen Studio Aicom entwickelt, bleibt selbst unter Retro-Fans oft ein Geheimtipp – zu Unrecht. Denn dieser Titel bietet eine überraschend ambitionierte Mischung aus Jump’n’Run, Run’n’Gun und sogar Arcade-Racing – und das alles in einem einzigen Modul.

In Vice: Project Doom schlüpft man in die Rolle von Detective Quinn Hart, der einer düsteren Verschwörung auf die Spur kommt: Eine geheime Organisation entwickelt ein gefährliches Serum auf Alien-Basis, das längst seinen Weg in die Gesellschaft gefunden hat. Was wie ein typisches B-Movie-Szenario beginnt, entpuppt sich schnell als erstaunlich stringenter NES-Action-Thriller – mit cineastischen Zwischensequenzen, Close-ups und einem Erzählstil, der auch locker aus einem Knight Rider-Drehbuch stammen könnte.

Das Gameplay wechselt dabei regelmäßig die Perspektive – und genau das macht Vice so spannend. Die klassischen Side-Scrolling-Abschnitte erinnern stark an Ninja Gaiden, inklusive harter Gegnerplatzierungen und pixelgenauer Sprungpassagen. Die Steuerung ist dabei erfreulich präzise: Mit Schwert, Pistole oder Granaten ausgestattet, kann Quinn sich flexibel durch die Level schlagen. Besonders clever: Der Waffenwechsel funktioniert flüssig, ohne das Spiel zu unterbrechen – eine Seltenheit auf dem NES.

Ergänzt wird das Ganze durch zwei weitere Spielmodi. In den Top-Down-Shootout-Sequenzen feuert man im Stil von Spy Hunter auf alles, was sich bewegt, während die rasanten Fahrpassagen eine Art Blade Runner meets Knight Rider-Vibe versprühen – futuristisch, neon-düster und überraschend atmosphärisch. Diese Abwechslung wirkt nie aufgesetzt, sondern bringt frischen Wind in das ohnehin schon dichte Spielgefühl – auch wenn nicht alle Passagen gleich präzise balanciert sind.

Wo viele NES-Titel durch lineares Leveldesign und monotone Settings auffallen, überrascht Vice: Project Doom mit einer erfreulichen stilistischen Vielfalt. Die insgesamt elf Level sind thematisch abwechslungsreich gestaltet – von urbanen Straßenzügen über unterirdische Labore bis hin zu Hightech-Anlagen mit Alien-Ästhetik. Dabei gelingt dem Spiel ein seltener Spagat: Es bleibt visuell konsistent, trotz der Wechsel in Spielmechanik und Perspektive. Das sorgt für ein rundes Erlebnis und vermittelt fast schon das Gefühl, eine interaktive 80er-Jahre-TV-Serie zu spielen – irgendwo zwischen Streethawk, Blade Runner und Miami Vice.

Die Plattform-Abschnitte sind klar der Mittelpunkt des Spiels. Hier zeigt sich die größte Detailverliebtheit: Gegnerarten wechseln regelmäßig, Hindernisse sind fair, aber herausfordernd platziert, und der Spielfluss wird nur selten durch unfair designte Stellen gestört. Besonders erfreulich: Es gibt keine Zeitlimits, sodass man sich die Areale auch in Ruhe erschließen kann – was bei vielen NES-Titeln keine Selbstverständlichkeit ist. Auch die Bosskämpfe sind gelungen: klassisch, fordernd und meist auf Mustererkennung ausgelegt, ohne dabei frustrierend zu werden.

Technisch bewegt sich Vice auf hohem NES-Niveau. Die Sprites sind sauber animiert, die Hintergründe abwechslungsreich, und selbst in den hektischeren Abschnitten bleibt die Framerate stabil. Nur selten kommt es zu Flackern oder Sprite-Zusammenbrüchen – ein Zeichen dafür, dass das Team bei Aicom sehr genau wusste, wie man die Hardware ausreizt. Auch die vertikale Synchronisation scheint gut gelöst zu sein, was das Spielgefühl angenehm flüssig macht.

Besonders hervorzuheben ist die Soundkulisse. Der Soundtrack bietet ein gutes Spektrum an treibenden Synth-Stücken, dramatischen Suspense-Themes und elektronisch angehauchten Stage-Tracks. Kein Komponist der großen Namen, aber die Tracks bleiben im Ohr und passen hervorragend zur düsteren, technoiden Atmosphäre. Die Soundeffekte selbst sind genretypisch, aber solide – Schüsse, Explosionen und Treffer geben akustisch genug Feedback, um das Spielgeschehen klar zu untermalen.

Die Lernkurve ist recht gut balanciert. Zwar zieht der Schwierigkeitsgrad gegen Ende merklich an – speziell in den letzten Levels mit präzisem Plattforming und aggressiven Gegnerkombinationen – doch das Spiel bleibt stets lösbar. Continues und Checkpoints sind fair verteilt, was den Titel auch für Genre-Einsteiger spielbar macht. Besonders lobenswert: Es gibt keine künstliche Verlängerung durch schlechte Respawn-Mechaniken oder Hitboxen, wie man sie bei manch anderem NES-Spiel erleben muss.

Alles in allem präsentiert sich Vice: Project Doom als durchdachter, technisch sauberer und spielerisch abwechslungsreicher Actiontitel, der mehr Aufmerksamkeit verdient hat, als ihm in seiner Zeit zuteil wurde. Gerade weil er Mechaniken aus so vielen Genres clever kombiniert, ohne dabei an Eigenständigkeit zu verlieren, bleibt er ein besonderes Stück NES-Geschichte.

Wertung


8/10

Kommentare



Adrian Lemme
Ich hab Vice: Project Doom viel zu lange ignoriert – der generische Titel, das vergessene Cover, nie in Europa erschienen. Erst per YouTube Video entdeckt, hat mich das Spiel sofort gepackt. Die Mischung aus Blade Runner und Knight Rider in 8-Bit-Form ist nicht nur stimmig, sondern überraschend cineastisch inszeniert.

Gameplay-technisch überzeugt das Ganze mit Abwechslung und solidem Flow: Ob Ballern, Jump’n’Run oder Racing – alles greift sauber ineinander, ohne frustige Trial-&-Error-Momente. Für ein Spätwerk auf dem NES wirkt Vice erstaunlich ausgereift.

Wer auf düstere Action mit Stil steht, sollte sich das definitiv anschauen. Und falls du noch mehr solcher Retro-Perlen suchst – auf meinem Blog retrolegends.de findest du viele Reviews, Tipps und persönliche Highlights.