Power Glove


von Seppatoni
01.10.2023

Mit dem NES revolutionierte Nintendo den Videospielmarkt, etablierte zahlreiche bis heute bestehende Standards und hauchte dem totgeglaubten Medium neues Leben ein. Die noch immer junge Welt der Videospiele nutzt den Erfolg des NES auch als Spielwiese für Experimente mit neuen Ideen. Eine davon war es, Videospiele nicht mit einem herkömmlichen Controller, sondern direkt mittels Körperbewegungen zu steuern. Den U-Force-Controller von Broderbund haben wir hier bereits vorgestellt. Doch wenn man an NES und Bewegungssteuerung denkt, gibt es eigentlich nur ein Zubehör, das wirklich stellvertretend für die Kombination dieser beiden Begriffe steht: Der Power Glove!

Die Entwicklung des Datenhandschuhs der Firma VPL wurde ursprünglich aus der Idee, auch ohne ein Instrument Gitarre spielen zu können, geboren. Nach ersten kommerziellen Produktionen, unter anderem für die NASA, stieß auch die Videospielindustrie auf das Interesse an dem Gerät. Basierend auf dem Patent von VPL entwickelte das Unternehmen Abrams/Gentile Entertainment (kurz AGE) eine stark abgespeckte Version des Handschuhs für das NES. Einerseits um die technischen Limitationen des NES zu berücksichtigen, und andererseits, um das Gerät zu einem erschwinglichen Preis anbieten zu können. Für die Produktion und den westlichen Vertrieb zeigte sich Spielzeugriese Mattel verantwortlich.


Veröffentlichung


Der Release des Power Glove wurde von einer groß angelegten Marketingkampagne begleitet. In Print- und TV-Werbungen wurde der Handschuh mit dem Slogan „The Power Glove - everythig else is child’s play“ angepriesen. Auf Messen und in Fernsehshows wurden die außergewöhnlichen Fähigkeiten demonstriert. Und nicht unerwähnt bleiben sollte auch der prominente Auftritt im fast zeitgleich veröffentlichten Film „Joystick Heroes“ (im Original „The Wizard“). Am 3. Dezember 1989 wurde der Power Glove schließlich in Nordamerika veröffentlich. Er erschien zum Preis von 100 US Dollar in den beiden Grössen M und L und ausschließlich für die rechte Hand. Releases in Europa und in Japan erfolgten etwas später.



Neben dem ganzen Setup lagen auch zwei umfangreiche Anleitungen bei. Eine davon im Stile eines Comics, in dem der Glove Master seinen Lehrling Little Digit in die Welt des Power Gloves einführt. Schritt für Schritt erklärt er ihm (und damit dem Leser), wie der Power Glove eingerichtet wird, auf was bei der Anwendung zu achten ist und wie mögliche Fehler behoben werden können.


Wie funktioniert der Power Glove?


Um den Handschuh-Controller in Betrieb zu nehmen, müssen erst drei Empfänger rund um den Fernseher positioniert werden: Einer oben links und zwei weitere auf der rechten Seite des TV- Geräts. Diese werden über eine kleine Box mit dem NES verbunden. An besagtes Kästchen wird auch das Kabel des Power Gloves angeschlossen. Mit dem Einschalten der Konsole werden sowohl die Receiver wie auch der Handschuhcontroller mit Strom versorgt.

Durch die an der Oberseite des Power Gloves angebrachten Ultraschall-Speaker werden Signale an die drei Empfänger übermittelt. Dadurch können Position und auch Bewegungen des Gloves ermittelt und ans NES übertragen werden. Durch den auf dem Pad angebrachten Center-Button kann die Position des Controllers jederzeit neu zentriert werden.
Aktionen von vier Fingern werden über im Handschuh verbaute Sensoren erkannt. Für den kleinen Finger wurde aus Kostengründen jedoch auf den Einbau von Messfühlern verzichtet. Die Daten werden vom Mikroprozessor des Power Gloves verarbeitet und dann an das NES übermittelt.

Dadurch, dass die Funktion des Power Gloves nicht von der Technik des TVs abhängig ist, kann dieser im Gegensatz zu R.O.B oder Zapper auch problemlos mit modernen Fernsehern genutzt werden.

Bevor man sich jedoch ins Spielgeschehen stürzt, empfiehlt es sich, ein zum Spiel passendes Programm zu wählen, welcher die Steuerung definiert. Insgesamt verfügt der Power Glove über 14 vordefinierte Varianten. Im Handbuch sind diese detailliert erklärt und in einer Übersicht auch einigen zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlichten Spielen zugewiesen. Über den Program-Button auf dem Control-Pad kann durch Eingabe der Nummer und zweimaligem Bestätigen mit Enter das Steuerschema bestätigt werden. Durch im Handschuh angebrachte Laufsprecher, erhaltet ihr für eure Eingaben jeweils einen Piepton als Rückmeldung.


Praxistest mit Spieleklassikern


Um zu sehen, wie sich der Power Glove im Einsatz mit bekannten Spielen und den laut Anleitung dazu passenden Kontrollschemen schlägt, haben wir 3 Spiele ausprobiert.

Super Mario Bros.

Beginnen wir mit dem NES-Klassiker schlechthin: Super Mario Bros. Wird der Arm leicht nach links oder rechts bewegt, läuft Mario in die entsprechende Richtung. Ein Heben und Senken des Gloves lässt ihn Ranken emporklettern oder sich Ducken und Röhren hinabsteigen. Mit dem Anwinkeln des Daumens wird gesprungen, Feuerbälle mit einem Beugen des Zeigefingers ausgelöst. Gerannt wird mit gebogenem Mittelfinger und Bewegung des Armes in die gewünschte Richtung. Mit den hinteren 3 Fingern kann zudem Mario langsam nach links oder rechts bewegt werden. Soweit die Theorie.
Währen die Aktionen mit den Fingern recht gut funktionieren, entpuppt sich das Lenken Marios durch Bewegungen mit dem Arm als unpräzise und reine Glückssache. Oftmals wird die Bewegung ignoriert oder die Aktion mittendrin abgebrochen. Um Mario wieder in Gang zu kriegen, artet dies in verzweifeltes Gefuchtel aus, vor allem wenn der nächste Goomba bereits drohend auf Mario zumarschierst.

Wenn die Steuerung für einen Moment mal funktioniert, fühlt sich dies durchaus spaßig an, Im Test reichte es bis in Welt 4-2. Aufgrund der verzögerten Ausführung gegenüber eines simplen Buttondrucks aber nicht mit einem normalen Gamepad mithalten. Aber sobald die Erkennung den Dienst zu verweigern beginnt, macht das ganze keinen Sinn mehr.

R.C. Pro AM

Für Rare’s Flitzerei mit den ferngesteuerten Autos wählen wir Programm 10. Gesteuert wird nur durch Aktionen mit den Fingern, die Positionierung und Armbewegungen werden nicht benötigt. Mit einem Beugen des Daumens werden Items eingesetzt, beschleunigt wird durch Anwinkeln der restlichen Finger. Nach links und rechts lenkt ihr mit Beugen des Zeigefingers oder den hinteren 3 Griffeln.

Damit lassen sich die Fahrzeuge erstaunlich präzise lenken. Der fehlende Positionierungszwang ist ein großer Pluspunkt und die Beschränkung auf reine Fingerbewegungen sorgen nach kurzer Eingewöhnungszeit für ein gutes Spielgefühl. Zwar bietet der Glove gegenüber einem herkömmlichen Controller auch bei R.C. Pro AM keinen Mehrwert, aber es zeigt, dass er durchaus als Eingabegerät taugt.

Defender II

Für eine kleine Auswahl an Spielen, in der Anleitung „Special Series Games“, genannt, existieren speziell auf die Titel zugeschnittene Programme. Durch Drücken von Start und anschliessend mehrfachem Ballen der Faust sowie Zentrieren des Gloves erkennt das Gerät automatisch das Spiel und lädt das vorgesehene Spezialprogramm. Dazu gehört auch Defender II, die Fortsetzung des erfolgreichen Arcade-Shoot ‘em Ups.
Das schifft wird durch Handbewegungen in die entsprechenden Richtungen navigiert. Mittels Daumenknick wird attackiert und ein Drehen der Hand auf 6 Uhr löst die Smart Bombe aus. Klingt interessant und spielt sich auch einigermaßen passabel. Aber das Geschehen auf dem Bildschirm ist leider viel zu schnell, als dass die Eingaben per Hand rechtzeitig erfolgen können. Dazu kommen auch wieder die Aussetzer der Positionserkennung des Power Gloves. In dieser Form leider nicht wirklich brauchbar.

Power Glove Gaming Series

Der Power Glove ist also nur bedingt für den Einsatz mit herkömmlichen NES-Spielen geeignet. Doch Abhilfe kommt da von Hersteller Mattel selber: Unter dem Label „Power Glove Gaming Series“ sollte zukünftig speziell auf den Gaming-Handschuh zugeschnittene Software veröffentlich werden. Die Software wird auch automatisch erkannt und das eigens dafür erstellte Kontrollschema geladen.

Als erstes Spiel dieser Reihe wurde Bad Street Brawler veröffentlich. Es handelt sich um die NES-Umsetzung eines bereits zuvor auf Heimcomputern erschienenen Prügelspiels. Der spielerisch äußerst bescheidene Titel profitiert kaum von den Power Glove-Fähigkeiten. Die Steuerung wirkt komplett aufgesetzt und macht den Titel nahezu unspielbar. Dass selbst in der Anleitung des Spiel der Glove mit keiner Silbe erwähnt wird, lässt vermuten, dass diesem einfach nur aus Vermarktungsgründen das Power Glove Gaming Series-Label kurz vor Release draufgestempelt wurde. Zumal das Spiel auch bereits rund 2 Monate vor dem Glove selber veröffentlicht wurde. Weiteres erfahrt ihr in unserem ausführlichen Gamecheck.

Es dauerte fast ein Jahr, bis mit Super Glove Ball der zweite Titel im Rahmen der Power Glove Serie erschien. Das von Rare programmierte Spiel wurde speziell für den Handschuh entwickelt. In einer Art dreidimensionalem Breakout übernimmt der Spieler die Kontrolle über ein Raumschiff. Mit diesem gilt es, einen Ball im Raum herumzuschleudern, damit Blöcke zu zerstören und den Weg durch ein Labyrinth zu finden.

Nicht ganz zufällig hat das Weltraumgefährt die Form einer Hand. Mit dem Power Glove übernehmt ihr die direkte Kontrolle des Raumschiffs. Und diese gestaltet sich als äußerst intuitiv: Ihr könnt in den Räumen nicht nur nach links und rechts manövrieren, sondern sogar in die Tiefe gehen. Der Ball lässt sich direkt mit der Hand packen und mit einer entsprechenden Bewegung auch nach links oder rechts schmeißen. Mit dem Zeigefinger könnt ihr Feuerbälle schießen oder per Faust Gegner auf dem Screen verprügeln.

Super Glove Ball zeigt, wie man die Power Glove sinnvoll nutzen und erstaunliche Ergebnisse erreichen kann, wenn man ein maßgeschneidertes Spiel abliefert. Eure Hand verschmilzt richtiggehend mit dem Raumschiff. Die Alternative Controllersteuerung wirkt mit all diesen Aktionen überladen und unnötig kompliziert, mit dem Glove gelingen die Aktionen fast schon von alleine.

Natürlich, perfekt ist die Steuerung trotzdem nicht. Die gelegentlich ignorierten Aktionen treten auch hier auf und der Arm zeigt irgendwann auch Ermüdungserscheinungen. Aber dennoch bietet hier das Spielgefühl mit dem Power Glove etwas Einzigartiges auf dem NES und deutet das in ihm steckende Potenzial an. Weiteres erfahrt ihr auch hier in unserem ausführlichen Gamecheck.

Super Glove Ball bildete auch bereits den Abschluss der am Ende nur zwei Titel umfassenden „Power Glove Gaming Series“. Weitere angekündigte und teils bereits beworbene Spiele wie Glove Pilot und Tech Town (alias Tektown) wurden gecancelt. Letzteres wurde sogar in einem Promo-Video von Nintendo vorgestellt:




Das Vermächtnis


Als Super Glove Ball veröffentlich wurde, hatte Mattel dem Power Glove bereits den Stecker gezogen. Nach einem knappen Jahr wurde der innovative Controller wieder vom Markt genommen. Ein Flop war das Zubehör für den Hersteller aber keineswegs. Rund 100.000 verkaufte Handschuhe bescherten dem Spielzeugriesen Gewinne in Millionenhöhe.
Für die Käufer selber kam der Handschuh jedoch kaum über den Status eines speziellen Gimmicks hinaus. Mit Ausnahme von Super Glove Ball gab es keine Software, welche auch nur annähernd vom Controller profitierte bzw. dessen Möglichkeiten ausreizte.

Die Gaming-Welt war Ende der 80er noch nicht bereit für Spiele mit Bewegungssteuerung. Allerdings stellt der Power Glove in deren Entwicklung ein Meilenstein dar und hat diese nachhaltig geprägt. Spätestens mit dem gigantischen Erfolg der Wii wurde klar, dass für Spiele dieser Art definitiv ein Platz vorhanden ist. Der Power Glove war seiner Zeit vielleicht einfach ein wenig voraus.


Der Weg zum Kultobjekt


Bereits zum Release wurde der Power Glove von einer grossen Marketingkampagne begleitet. Höhepunkt war die Präsenz im bereits erwähnten Film „Joystick Heroes“ (im Original: „The Wizard“). Fiesling Lucas nutzte hier en Power Glove als Symbol zur Darstellung seiner Überlegenheit bei kompetitiven Videospielen. Es folgen weitere Auftritte in Kinofilmen wie „Nightmare on Elm Street 6“ mit Freddy Krügers eigener Interpretation des Gloves oder der Familienkomödie „Ein Hund namens Beethoven“.

Die folgenden Jahre wurde es etwas ruhiger um dem Handschuh. Erst mit dem Aufkommen des Internets und vor allem dem Videoportal YouTube aber wurde auch der Power Glove wiederentdeckt und dank Video-Reviewern wie dem „Angry Video Game Nerd“ auch der jüngeren Generation ein Begriff. Eine Zeile von Antagonist Lucas aus Joystick Heroes wurde zum Sinnbild des Gloves:



„I love the Power Glove. It’s so bad.” Diese ernste Aussage im Film mit einer gehörigen Portion unfreiwilliger Ironie führte zu unzähligen Memes und Parodien. Der Power Glove wurde zu einem Stück Popkultur, ein Synonym für unausgereifte oder gar nicht funktionierende Hardware und gehört zweifelsfrei auch zur Historie des NES dazu. Mit ein Grund, weshalb der Handschuh im Film „Weihnachtsjagd: Das Fest der Spiele“ (2021, im Original: „8-Bit Christmas“) auch sein glorreiches Comeback auf die Kinoleinwand feierte.