Final Fantasy
von Chancell
19.04.2025
Final Fantasy... der Name allein löst schon Assoziationen aus. Eine der vielen großen Spieleserien, die einst auf Nintendos 8-Bit-System ihren Anfang nahm. Doch schaut man mal hinter die glitzernde Fassade, die das Final Fantasy-Franchise mittlerweile in ihren Dekaden seit Bestehen aufgebaut hat, stößt man auf diese 256 Kilobyte umfassende Cartridge, die 1987 in Japan bzw. 1990 in Nordamerika den Videospielhandel erreichte. In Japan als eine spielerische Antwort auf den großen Konkurrenten Dragon Quest in einer Harakiri-Aktion entwickelt und produziert, ging man davon aus, dass es der letzte, sprich finale Titel der Firma Squaresoft sein sollte. Wäre der Titel kein Erfolg geworden, hätte Chefdesigner Hironobu Sakaguchi der Spielebranche den Rücken gekehrt und wäre wieder an die Universität zurück gegangen. Glücklicherweise blieb ihm dies erspart, wie er in Interviews äußerte und die Serie wurde ein voller Erfolg und generierte noch zwei direkte Famicom-Nachfolger, die es leider nicht mehr in den Westen geschafft haben, von unzähligen Folgetiteln auf anderen System ganz abgesehen...
Zum Verständnis des Entstehens von Final Fantasy muss man sich die Gemengenlage am Videospielmarkt zur Mitte der 80er-Jahre in Japan anschauen: Der Oberbegriff J-RPG als solcher war noch ein Fremdwort; es existierten westliche Computer-Rollenspiele wie Ultima und Wizardry und erfreuten sich in Kennerkreisen gewisser Popularität. Nintendos Family Computer eroberte nach und nach die Wohnzimmer der japanischen Haushalte und Yuji Horii schaffte es mit dem einsteigerfreundlichen Dragon Quest 1986 die westliche Rollenspielformel in ein angenehm verdauliches Format zu gießen. Alle Sperrigkeiten der westlichen Pendants wurden über Bord geworfen und eines der erfolgreichsten Videospiele im Land der aufgehenden Sonne sollte das Fundament bilden, was später als J-RPG bekannt werden sollte. Und genau hier setzt Final Fantasy an: Hironobu Sakaguchi kannte sowohl die westlichen Vorbilder als auch Dragon Quest und gedachte an einen ähnlichen Titel entwickeln zu dürfen. Innerhalb seines Mutterkonzerns Square galt dieser jedoch als schwieriger Kollege, so dass sein Vorschlag nur wenig Beifall fand. Am Ende gelang es ihm jedoch eine Handvoll Leute zu finden, die ihm in seinem Bestreben ein Rollenspiel für das Famicom zu entwickeln, unterstützen würden.
Square war zu diesem Zeitpunkt bereits mit Spielen wie dem im Westen als 3D WorldRunner bekannt gewordenen Actionspiel im Geschäft, als Sakaguchi sich der Programmierkünste des iranisch-stämmigen Nasir Gebellis zu bedienen verstand. Letzterer hatte bereits die Pseudo-3D-Engine von 3D WorldRunner entwickelt und galt aufgrund seiner Apple II-Vergangenheit als Spezialist auf dem Gebiet der 6502-Prozessoren. Auf das Konto Nasir Gebellis sollten auch noch Rad Racer sowie die beiden 8-Bit-Fortsetzungen von Final Fantasy gehen. Als Co-Autor zog sich Sakaguchi den Novellisten Kenji Terada an Land und musikalisch sollte Nobuo Uematsu das neue Rollenspiel akustisch untermalen, der Rest ist Geschichte...
Die englische Übersetzung des 1987er-Hits erschien im Sommer 1990 in Nordamerika auf dem gerade im sanften Abschwung begriffenen Zenit des NES-Hypes und schaffte es sogar, die japanischen Verkaufszahlen von einer knappen halben Millionen verkaufter Module noch zu überflügeln. Leider wurde Final Fantasy in seiner NES-Variante erst zur Wii-Ära als Virtual Console-Version bzw. 2016 an Bord des NES-Minis in Europa veröffentlicht, so dass man in den 90ern stets auf den Importweg angewiesen war, wenn man in den Genuss des J-RPGs kommen wollte. Findige Importeure verstanden es dennoch damals, den Titel auch nach Deutschland bzw. Europa zu bringen. In diesem Zusammenhang ist zu sagen, dass es bei Final Fantasy extrem vorteilhaft war, eine Complete-In-Box-Version zu besitzen, da eine über 80-seitige Anleitung samt Kartenmaterial das für Europäer damals ungewöhnliche Spielsystem deutlich vereinfachen sollte und viele wertvolle Hinweise im Text Hilfestellungen boten.
Zur ausladenden Story ist zu sagen, dass in einer mittelalterlich geprägten Welt das Chaos entfesselt wurde, die Elemente spielen verrückt und Horden von wilden Kreaturen belästigen die Menschen. Es geht die Prophezeiung um, dass sich eine Handvoll Helden zusammentun wird, um das Böse wieder in seine Schranken zu verweisen. Ohne allzu viel vorweg zu nehmen spielen Reisen an weit entfernte Orte, unter dem Meer, in den Weiten des Kosmos sowie durch Raum und Zeit eine Rolle. Es geht um verschiedene Städte und Königtümer, die Probleme mit Piraten, Krankheiten und Dämonen haben. Als Fortbewegungsmittel dienen Schiffe zu See und später auch in der Luft. Es werden Wüsten durchquert, unheimliche Unterwasserhöhlen, lavagetränkte Höllenlandschaften und technische Weltraumstationen. Der Fantasie sind hier entsprechend des Spielenamens allenfalls technische Grenzen gesetzt. Erzählt wird das Geschehen durch Dialogboxen sowie im Intro und Abspann durch bildschirmfüllende Grafiken samt Textboxen. Im Hintergrund all des Dramas steht ein abgefallener Ritter des Königreiches Cornelia, der aus niederen Motiven die Herrschaft an sich zu reißen gedenkt und sich dabei finsterster Machenschaften bedient. Zu Beginn werden wir zum König von Cornelia beordert, dieser gibt uns zu verstehen, dass Garland - einst ehrenvoller Ordensritter - seine Tochter Prinzessin Sela entführt hat, um ihn und das Königreich zu erpressen. Die Elemente gilt es zudem wieder bändigen, diese stellen die Waffe des bösen Strippenziehers dar, repräsentiert werden diese durch Elementarkristalle.
Gespielt wird Final Fantasy in der Top-Down-Perspektive, es gibt eine verkleinerte Kartensicht und eine detaillierte Ansicht in den Städten, Häusern und Höhlen. Zudem gibt es eine komplette Weltkarte, deren Hinweis man im Spielverlauf sich aber erst erarbeiten muss: Hier wird technisch revolutionär die gesamte Weltkarte eingeblendet samt Standorte der Städte sowie der Heldenfraktion bzw. des aktuellen Vehikels. Die zufälligen Begegnungen mit unterschiedlichsten Gegnern sind hochfrequent und wollen gut überlegt angegangen werden, es empfiehlt sich stets genügend Tränke sowie Gegengifte dabei zu haben. Gekämpft wird rundenbasiert; man hat also stets genug Zeit, sich in Ruhe den nächsten Schritt zu überlegen. Einzelne Gegner haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, die oft mühsam mithilfe Trial-and-Error herausgefunden werden wollen. Für gewöhnlich ist man gerade an einen aktuellen Auftrag gebunden oder verfolgt ein bestimmtes Ziel. Der Bewegungsradius innerhalb der Spielwelt nimmt dabei allerdings stetig zu - ebenso wie die Gegnerstärke. Final Fantasy ist nicht geeignet für Spieler, die schnelle Erfolge sehen wollen, hier werden schwerpunktmäßig Erfahrungspunkte gesammelt, um neuen Herausforderungen gewappnet zu sein.
Neuartig an Final Fantasy gegenüber dem Genrekonkurrenten Dragon Quest war damals, dass man eine Heldentruppe steuern sowie deren Professionen individuell wählen konnte. Jede Heldenklasse hat unterschiedliche Fähigkeiten und beeinflusst den Spielererfolg massiv: Ein Rotmagier etwa kann sowohl Offensiv- als auch Defensivtechniken lernen, der Weissmagier ist in erster Linie defensiv unterwegs bzw. wird vorwiegend als Heiler eingesetzt, während der Schwarzmagier hauptsächlich Angriffe tätigt. Mit dem Schwarzgürtelträger und dem Krieger gibt es auch noch einige handfestere Burschen im Spiel zur Auswahl. Die Auswahl zu Beginn prägt das Geschehen ungemein und will gut überlegt sein, es empfiehlt sich eine ausgewogene Mischung zwischen Offensiv- und Defensivmagiern sowie hemdsärmeligen Kämpfernaturen zusammenzustellen. An der korrekten Auswahl der Startkonstellationen scheiden sich bis heute die Geister bzw. dieses lädt auch zu entsprechenden Challenges ein. Ein Spiel zu beginnen mit vier Weissmagiern ist aber vermutlich nicht sehr effektiv...
Die meiste Zeit verbringt der Spieler damit zu kämpfen und sich Stück für Stück die für damalige Verhältnisse geradezu gigantische Welt zu erschließen. Das Gefühl eine neue Höhle entdeckt zu haben, eine neue Rasse kennengelernt zu haben - hier seien die Zwerge oder die Drachen genannt - sowie die abwechslungsreichen Aufträge, die abgearbeitet werden müssen, lassen einen geradezu in dieser fremden aber schöne Welt versinken. Uematsus unvergleichlicher Soundtrack entlockt dem NES-Prozessor teilweise symphonisch anmutende Chiptune-Hymnen und die teilweise bildschirmfüllenden Gegner aller Couleur gehören mit zur technisch und künstlerischen Oberklasse auf dem NES. Final Fantasy bei aller Anmut kämpft aber mit einigen Kinderkrankheiten seines Genres, die allesamt erst in den Nachfolgern behoben wurden: Etwa die Geldmenge, die irgendwann sich nicht mehr steigern lässt oder die Tatsache, dass man immer nur einen Gegenstand im Shop einzeln kaufen kann oder der Schlag in die Luft im Kampf, wenn der Gegner schon von einem Kameraden besiegt worden ist und nicht automatisch den nächsten anvisiert.
Unterm Strich bildet das erste Final Fantasy-Spiel geduldigen Spielernaturen, die sich in die Befindlichkeiten der damaligen Zeit hineinversetzen können nach wie vor eine ausladende und wahrlich erhebende Spielerfahrungen, wie sie nur wenig Spiele vermitteln können. Ähnlich dem ersten Super Mario Bros. auf dem NES besitzt es eine ikonografische Prägnanz, die so und in dieser Form stilbildend für eine ganzes Genre wurde. Jedem tapferen 8-Bit-Lichtkrieger, der das Zeug dazu hat, sollte Final Fantasy nachholen. Hier entfesselt sich ein puristisches Meisterwerk, das in keiner der verwässerten Neuauslagen oder Remakes wirklich den Charme der ursprünglichen Variante gerecht werden konnte. Final Fantasy - das Vollkorn-Japanrollenspiel, wenn man so will - nur echt auf dem NES.
Wertung










9/10
Kommentare

Chancell
Final Fantasy auf den NES bedeutet, sich in erster Linie verzaubern zu lassen. Das Spiel offerierte damals eine phänmenal offene Spielwelt, Spielspaß über Monate, eine wahrhaft himmlisch anmutende musikalische Untermalung sowie ein relativ cleveres Klassen- und Talentsystem. Wer die nötige Disziplin aufbringt, sich den Horden von Gegnern entgegen stellt und auch tief unter dem Ozean bzw. der Erde die Nerven behält, erlebt eines der größen Abenteuer, das auf dem NES erschienen ist. Die Atmosphäre, die sich vor dem großen Finale schließlich aufbaut, habe ich in dieser Form bisher nur bei wenigen Spielen und nur auf dem NES durchleben dürfen. Aber Obacht! Final Fantasy will geradezu erarbeitet werden, es erfordert Beharrlichkeit, eiserne Willensstärke und Geduld! Die Rettung der Welt vor dem Chaos hat ihren Preis...



